Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes – Inhalte und Anforderungen


Hintergrund:

Im Koalitionsvertrag von 2018 hatte die Bundesregierung vereinbart, dass in der laufenden Regierungsperiode eine „Neuordnung des Sanktionsrechts für Unternehmen zur wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität“ umgesetzt werden soll. Der Regierungsentwurf des sogenannten Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) wurde am 16. Juni 2020 unter dem Titel „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ von der Bundesregierung beschlossen. Das eigentliche Gesetzgebungsverfahren nimmt nun nach der Sommerpause konkrete Formen an, sodass mit einer Verabschiedung des Gesetzes Ende 2020 oder Anfang 2021 zu rechnen ist.


Wesentliche Gründe für ein Verbandssanktionengesetz:

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) führt aus, dass Deutschland derzeit auf wirtschaftlich schwere Zeiten zugeht. Deshalb komme es gerade jetzt darauf an, die große Mehrzahl der Unternehmen zu stärken, die sich an die Regeln halten und Notsituationen anderer nicht ausnutzen, um sich selbst ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Nicht gesetzestreu handelnde Unternehmen verschaffen sich hingegen Wettbewerbsvorteile auf Kosten rechtstreuer Unternehmen. Sie schädigen damit dem Ruf der Wirtschaft insgesamt. Die Neuregelung soll verhindern, dass mangels angemessener Sanktionen das Vertrauen in den Rechtsstaat Schaden nimmt.


Bisherige Ahndung von Straftaten aus Verbänden:

Straftaten, die aus Verbänden (Unternehmen, juristische Personen) heraus begangen wurden, können nach geltendem Recht bisher lediglich mit einer Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gegenüber dem Unternehmen geahndet werden. Die maximale Bußgeldhöhe beträgt gemäß § 30 OWiG 10 Mio. EUR. Dem Ordnungswidrigkeitenrecht liegt hierbei das sogenannte Opportunitätsprinzip zugrunde. Es besagt, dass, auch wenn Leitungspersonen in Unternehmen schwerste Straftaten begangen haben, die Verfolgung des Verbandes alleine im Ermessen der Verfolgungsbehörden liegt. Nach den Begründungen des Regierungsentwurfes zeigen die Erfahrungen der Praxis, dass es oftmals in den Deliktfeldern der Korruptions-, Wirtschafts- und Umweltkriminalität nicht zur Einleitung eines Verfahrens kommt. Das BMJV vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass die Sanktionierung von Verbandsstraftaten nicht von regionalen Besonderheiten oder personellen Ressourcen der Polizei und Justiz abhängen darf. 


Wesentliche Inhalte des Verbandssanktionengesetzes:

Anders als bei § 30 OWiG gilt im Rahmen des Verbandssanktionengesetzes das Legalitätsprinzip. Hierbei besteht eine Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde (z. B. Staatsanwaltschaft, Finanzbehörde, Kartellbehörde), ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie eine den Anfangsverdacht rechtfertigende zureichende Kenntnis von einer (möglichen) Straftat erlangt hat.

Der Gesetzesentwurf richtet sich ausdrücklich an Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Unter einem Verband versteht das Gesetz im Wesentlichen juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts (z. B. Kapitalgesellschaften wie GmbH und AG) und Personengesellschaften (z. B. OHG, KG). Verbände mit einem gemeinnützigen Zweck werden von dem Gesetz nicht erfasst. Eine Straftat eines Verbands bzw. eines Unternehmens liegt grundsätzlich vor, wenn das Kriterium der Verbandsbereicherung oder der Verletzung von Verbandspflichten erfüllt ist. Eine Beschränkung auf bestimmte Deliktgruppen wie bspw. Vermögens- oder Steuerdelikte besteht nicht. Es werden ebenso Delikte im Bereich von Menschenrechtsverletzungen (z. B. Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung), Umweltdelikte, Korruptionsdelikte und Straftaten gegen den Wettbewerb verfolgt. Der räumliche Anwendungsbereich erstreckt sich dabei im Gegensatz zum OWiG grundsätzlich auch auf im Ausland begangene Verbandsdelikte. 

Für Großunternehmen und multinationale Konzerne bringt das VerSanG eine deutliche Erhöhung der möglichen Strafen mit sich. Um eine an der Wirtschaftskraft orientierte angemessene Sanktionierung zu ermöglichen, soll für diese Verbände die bisherige starre Obergrenze des OWiG (10 Mio. EUR) aufgegeben werden. Stattdessen beträgt die Höchstgrenze künftig 10 Prozent des Jahresumsatzes.

In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird deutlich, dass das VerSanG den im Verband bestehenden Compliance-Maßnahmen besondere Bedeutung zumisst. Sowohl bei der Entscheidung über die Höhe der Sanktionierung als auch bei der Entscheidung über eine Verwarnung, über Auflagen oder die Einstellung wegen Geringfügigkeit sollen die Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten im Unternehmen berücksichtigt werden. Besondere Geltung kommt im Rahmen des neuen Gesetzes auch verbandsinternen Untersuchungen zur Ermittlung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten zu. Aufklärungsleistungen eines Unternehmens können unter gewissen Umständen sanktionsmildernd berücksichtigt werden.


Stellungnahme des Bundesrates vom 18. September 2020:

Der Bundesrat lehnt den Gesetzesentwurf nicht generell ab, übt aber Kritik in der Sache.

  • Die Länder wünschen eine verhältnismäßige Ausgestaltung des Gesetzes für kleinere und mittlere Unternehmen (Proportionalitätsprinzip). Denn an diese sollten deutlich weniger hohe Anforderungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten gestellt werden.
  • Der Bundesrat bittet außerdem, den verfahrensrechtlichen Teil des Entwurfs grundsätzlich zu überarbeiten: Das Sanktionsverfahren soll effektiver und weniger missbrauchsanfällig ausgestaltet werden. Dadurch soll einer drohenden Überlastung der Justiz vorgebeugt werden.
  • Der Bundesrat sieht darüber hinaus einen sehr weiten Anwendungsbereich für das VerSanG. Durch die Einführung des Legalitätsprinzips müssten daher in vielen Fällen Sanktionsverfahren gegen Verbände geführt werden, bei denen es kein anerkennenswertes Bedürfnis für ein Sanktionsverfahren gäbe. Der Bundesrat regt daher an, die bereits im Gesetzesentwurf vorgesehenen Verfahrenseinstellungsmöglichkeiten noch zu erweitern.
  • Derzeit ist vorgesehen, dass das Gesetz zwei Jahre nach der Verabschiedung in Kraft tritt. Der Bundesrat schlägt vor, diese Übergangszeit aufgrund der gegenwärtigen Corona-Krise auf drei Jahre zu erweitern.

Die Verbesserungsvorschläge des Bundesrates lassen den eigentlichen Kern des Gesetzesentwurfs unberührt. Es ist daher durchaus möglich, dass das Gesetzgebungsverfahren nach der Einarbeitung der Änderungsvorschläge recht zügig durchlaufen wird. 


Handlungsbedarf:

  • Die verbleibende Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen VerSanG sollte von Unternehmen genutzt werden, um ein angemessenes, wirksames Compliance-Management-System zu errichten oder ein bestehendes CMS auf Angemessenheit und Wirksamkeit zu überprüfen.
  • Detaillierte Regelungen zur Durchführung interner Ermittlungen sollten in einem CMS berücksichtigt werden, um im Falle von Gesetzesverstößen Strafminderungen zu ermöglichen.
  • Die Einhaltung steuerlicher Vorschriften betrifft alle Unternehmen. Als Teil einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation sollte von den Entscheidungsträgern in Unternehmen daher auch die Implementierung eines Tax-CMS in Erwägung gezogen werden. Eine strafmildernde Wirkung ergibt sich diesbezüglich nicht erst zukünftig aus dem VerSanG, sondern bereits aus den gegenwärtig bestehenden Vorschriften (AEAO Tz. 2.6 zu § 153 AO).
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